Entwerfen

Unsere Entwürfe bilden eine gewachsene Sequenz, deren Wirkung man als kontrovers bezeichnen kann. Auch wenn sich ihre Eigenart an der Form festmachen lässt, steht dahinter die Auseinandersetzung mit dem Gegenstand des Entwurfs jenseits der Form: Entwerfen bedeutet für uns das Einmessen einer Bauaufgabe in den gesellschaftlichen Zusammenhang der Stadt. Erst aus diesem Prozess ergeben sich die städtebaulichen und architektonischen Konsequenzen für einen Entwurf. Die Bauaufgabe oder genauer das Verhältnis von Programm und Ort muss jedesmal neu bestimmt werden. Im besten Fall gelingt es, das Verständnis für den Ort an der Bauaufgabe zu schärfen, die Idee des Programms dank der besonderen Eigenschaften des Ortes zu erweitern. Dabei entwickeln wir ambivalente Beziehungen: Wir möchten das Verständnis für den Ort vertiefen, zugleich die Wahrnehmung des Ortes verändern, manchmal überwinden. In einem solchen Gefüge gibt es keine Konstanten und Variablen. Die Absicht, mit einem Entwurf das Verständnis für die Geschichte eines Ortes zu wecken, setzt einen dynamischen Prozess des Entwerfens voraus. Ebenso wenig existiert ein „richtig“ oder „falsch“. Was uns trägt, ist die Erfahrung der Stadt als Zeugnis unermesslich vielfältigen Handelns, verwirrend und reich. Wir können uns ein Entwerfen mit mahnendem Finger nicht vorstellen, wollen aber auch nicht jenes Gedächtnis der Stadt überformen, das ihrer Gestalt als Artefakt eingeschrieben ist. Eine Stadt, die sich ihrer Geschichte beraubt, beginnt sich selbst aufzulösen. Uns geht es nicht nur um ein Verantwortungsbewusstsein im Sinne der Denkmalpflege, sondern um die kompositorische Dimension des Entwurfs. Wir sind überzeugt, dass sich der städtebauliche und architektonische Entwurf nur entfaltet, wenn er in der Tiefe der Zeit, des Gedächtnisses einer Stadt, angelegt ist. Das ist der wiederkehrende Versuch: das Verspannen eines Entwurfs mit dem Ort und in der Zeit. So gewinnen wir für das entwerferische Handeln Raum.

Roger Diener