<Wiederaufbau und Neufassung des Ostflügels am Museum für Naturkunde, Berlin, 1995–2010

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Das Museum für Naturkunde in Berlin ist das Zentrum eines monumentalen städtischen Ensembles, das zwischen 1875 und 1889 nach Plänen von August Tiede an der Invalidenstrasse im Bezirk Mitte errichtet wurde. Zwischen 1914 und 1917 kam zu dem ursprünglich dreiflügeligen Bau noch ein Quertrakt hinzu. Der Ostflügel wurde während des Zweiten Weltkriegs durch eine Feuerbombe bis auf wenige Fassadenreste zerstört und blieb für Jahrzehnte als Ruine stehen. 2006 konnte nach zehnjähriger Planung mit dem Wiederaufbau begonnen werden, 2010 war der Ostflügel wieder für die Öffentlichkeit zugänglich. Die Neufassung erhielt 2012 den DAM Preis für Architektur in Deutschland.

Das Museum beherbergt eine der grössten naturkundlichen Sammlungen in Deutschland und ist zugleich ein Ort der Wissenschaft. Periodische Führungen durch das Gebäude und seine Sammlungen geben ausserhalb der Öffnungszeiten Einblicke in die Forschung und folgen damit einer Ausrichtung, die von Beginn an in der Struktur des Museums angelegt war. Der Wiederaufbau des Ostflügels hat diese Struktur in sein Konzept einbezogen und ein begehbares Archiv errichtet, das Interessierten zugänglich ist und optimale Voraussetzungen für die wissenschaftliche Arbeit schafft. In einem transparenten Hochregal ist die berühmte Nasssammlung des Museums von allen Seiten einsehbar. Die Laboratorien und die Räume der Präparatoren liegen in den Geschossen darüber und darunter. In dieser radikalen Konzentration kann sich im wiedererrichteten Ostflügel die ursprüngliche unmittelbare Verknüpfung von Sammeln und Forschen von Neuem entfalten.

Die Hauptgeschosse des Museums sind im neuen Trakt weitergeführt. Das Regal der Nasssammlung umfasst 276 000 Gläser in Alkohol konservierter Tierpräparate. Um die lichtempfindlichen Präparate optimal aufzubewahren, ist der umgebende Bau fensterlos. Das 18 m hohe Lager ist auf allen Ebenen mit dem Gebäude strukturell verspannt. Durch Zwischendecks werden die kompakte Lagerung und Zugänglichkeit der Präparate gewährleistet. Der Schaubereich für die Besucher befindet sich im Erdgeschoss, ein 6 m hoher und 1,95 m breiter Umgang, dessen Zutritt überwacht wird. Die Wände sind in der Farbe „caput mortuum“ gefasst, die Leonhard Forslund eigens für diesen Raum entwickelt hat. Der rotviolette Farbton verleiht den bernsteingelben Gläsern der Präparate wirkungsvolle Leuchtkraft.

Der neue Ostflügel besteht aus einer homogenen Hülle aus Beton. Dafür wurden von den originalen Fassaden Silikonabdrücke abgenommen und  mit Beton ausgegossen. Die so entstandenen Fertigteile sind an die Stelle der zerstörten Fassade gesetzt. Die alten Fenster der noch vorhandenen Fassadenreste wurden zugemauert, die neuen sind Blindfenster aus Beton. Die dichte Gebäudehülle genügt damit den hohen physikalischen und technischen Ansprüchen, die an die Lagerung der Nasssammlung gestellt werden. Luft und Feuchtigkeit können ideal konditioniert werden.

Der wiederaufgebaute Abschnitt der Fassade nimmt die Modulation der originalen Architektur auf und setzt sich durch den grauen Beton doch deutlich sichtbar von der erhaltenen Bausubstanz ab. Mauerwerk, Steinschnitt und Gewände sind nur als Abdruck wiedergeben. Der Neubau schliesst die Leerstelle des Baudenkmals nicht im eigentlichen Sinne einer Rekonstruktion, sondern im Sinne einer Inszenierung von Geschichte. Das Relief aus Beton lässt die Gestalt der früheren Fassade durchscheinen, ohne sie getreu zu wiederholen. Im Abdruck dessen, was einmal war, ist die Geschichte aufbewahrt.

Wettbewerb: 1. Preis, 2005
Datum: 2005—2010
Auftraggeber: 2004—2007: Humboldt–Universität zu Berlin, 2005—2010: Museum für Naturkunde - Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung
Ort: Invalidenstrasse 43, Berlin, Deutschland
Bruttogeschossfläche (BGF): 5.478 m²
Programm: Forschung, Archiv und Ausstellung zoologischer Sammlungen
Bauingenieur: 2004—2007: Hildebrandt + Sieber, 2005—2010: Hildebrandt + Sieber
Technische Gebäudeplanung: Bernd Kriegel Ingenieure
Lichtplaner: Licht Kunst Licht, Berlin

Diener 0727-3-HUB New-East-Wing-Expansion-Museum-of-Natural-History Berlin P5919-0527
Diener 0727-3-HUB New-East-Wing-Expansion-Museum-of-Natural-History Berlin P5919-0524
Diener 0727-3-HUB New-East-Wing-Expansion-Museum-of-Natural-History Berlin P5919-0528
Diener 0727-3-HUB New-East-Wing-Expansion-Museum-of-Natural-History Berlin P5919-0658
Diener 0727-3-HUB New-East-Wing-Expansion-Museum-of-Natural-History Berlin 727-3 Dachaufsicht
Diener 0727-3-HUB New-East-Wing-Expansion-Museum-of-Natural-History Berlin P5919-0622
Diener 0727-3-HUB New-East-Wing-Expansion-Museum-of-Natural-History Berlin 727-3 HUB GRU
Diener 0727-3-HUB New-East-Wing-Expansion-Museum-of-Natural-History Berlin P5919-0619
Diener 0727-3-HUB New-East-Wing-Expansion-Museum-of-Natural-History Berlin P5919-0621
Diener 0727-3-HUB New-East-Wing-Expansion-Museum-of-Natural-History Berlin 727-3 HUB Detail of the east elevation and detail section
Diener 0727-3-HUB New-East-Wing-Expansion-Museum-of-Natural-History Berlin P5919-0523
Diener 0727-3-HUB New-East-Wing-Expansion-Museum-of-Natural-History Berlin P5919-0620